1914
Als Herbert Bründel seine Offizierslaufbahn aufgab,
um in Königsberg Philosophie zu studieren, hatte
er ein hausgemachtes Problem am Hals. Ein Jahr lang hielt
er die Tatsache zurück, aber als er um die Hand von
Marie anhielt, musste er endlich vor seinem
Schwiegervater in spe Farbe bekennen. Zur
Verlobungsfeier wollte er endlich damit herausrücken.
Als am 28. Juni der Habsburger Thronfolger Franz Ferdinand und seine Frau in Sarajevo von Gavrilo Princip, einem serbischen Attentäter, ermordet wurden, löste diese Nachricht in Ostpreußen Bestürzung aus. Aber Herbert weigerte sich, die Sache so ernst zu nehmen, wie sein Kommilitone Franz Amelow.
Erst als er von Erich Reinholdt, einem ehemaligen Schulfreund, der in einem preußischen Grenzkorps diente, vom offensiven Aufmarsch zweier russischer Armeen und der unausweichlichen kaiserlichen Mobilmachung erfuhr, sah auch er die Bedrohung über sein eigenes Leben hereinbrechen. Und als ihm durch einen unglücklichen Umstand ein brisanter Briefwechsel seines Dozenten Dr. Erich Rubin mit dem Iren Roger Casement in die Hände fiel, musste er erkennen, dass England hinter alledem steckte.
Aus dem Inhalt des Buches...
Der Schuss krachte in die Stille hinein, in der die Männer der 4. Kompanie auf jedes Geräusch
achteten, was von dem Dorf herüber kam.
Leutnant Rubien verlor plötzlich sein Gesicht.
Das Geschoß hatte es auseinander gesprengt. Der tote Körper sackte
zusammen, und in die geschockten Gesichter brüllte Major Leopold Diestel wie vom Wahnsinn erfasst:
»Feuert auf den Kirchturm! Verdammt, feuert endlich auf den Kirchturm!«
»Erster Zug auf den Kirchturm anlegen!«, brüllte nun Bründel seine Soldaten an.
»Feuer!«
Erbarmungslos krachte die Salve in ihren Ohren. Dutzende Absplitterungen des Mauerwerkes am oberen Turm zeugten vom
massiven Beschuss. Als sich Herbert umsah, hatten die Sanitäter den zerfetzten Kopf des Leutnants mit einem Tuch abgedeckt.
Mehr konnten sie im Augenblick nicht tun.
»Los, Bründel, holen Sie mir den da runter«, befahl der Major.
»Zu Befehl!«
Der erste Zug stürmte vor. Die Gruppen schwärmten aus und die Männer nahmen Deckung, wo es welche gab, wo nicht,
liefen sie in Vertrauen auf Gott direkt auf das Ziel zu.
So näherten sie sich der Kirche von vier Richtungen. Nirgends ein separater Aufgang zum Turm.
»Wir müssen durch das Hauptportal rein!«, legte Bründel fest.
Franz Schwerin riss die Eingangstür auf und stürmte mit drei Soldaten hinein. Dann folgte Bründel mit zwölf Mann.
Als er die Kirche betrat, hegte er die feste Absicht, den Schützen, sollte der noch leben, eigenhändig zu erschießen!
Sie stürmten den Glockenturm empor und rechneten damit, bechossen zu werden, doch der russische Soldat saß seelenruhig mit verschränkten
Beinen auf den alten Holzdielen, das Gewehr vor sich liegend. Er erwartete sie friedlich.
Herbert Bründel trat dicht an ihn heran, den Lauf seines Gewehres auf dessen Kopf gerichtet. Und der junge Mann in der russischen Uniform
blickte den preußischen Unteroffizier an, als sei dieser sein Erlöser.
Herbert hielt den Atem an. Sekunden verannen... dann nahm er den Finger vom Abzug.
»Das ist doch alles eine sinnlose Scheiße!«, brüllte er plötzlich und gab seinen Karabiner in die Hände von Franz Schwerin.
Ein Füselier seines Zuges übergab ihm das russische Scharfschützengewehr und Bründel nahm sofort das Magazin heraus.
Zuerst zögerte er, doch dann zeigte er es in die Runde der versammelten Soldaten herum. Es war bereits leer!
»Er hatte nur diesen einen Schuß für unseren Leutnant.«